Danke, Charisma
Nachdem es Charisma in den letzten Tagen immer schlechter ging, wurde sie gestern Vormittag erlöst. In zwei Wochen wäre sie 25 Jahre alt geworden.
In den letzten Jahren kannten sie viele als treues altes Schulpferd. Die wenigsten wissen, dass sie ihre Jugend eher auf Turnierplätzen verbracht hat. Sowohl im Springen als auch in der Dressur war sehr talentiert.
Ich hatte das große Privileg, sie vor vielen Jahren nach ihrer mehrjährigen Fohlen-und-Koppel-Pause als erste auf dem Weg zum Schulpferd begleiten zu dürfen. Damals hatte sie eine recht barocke Figur und erst nach einigen Monaten Training kam wieder die passende Haltung dazu. Aber sie erinnerte sich gerne an alles was sie in ihrer Jugend gelernt hat, hat mir Figuren und Übungen gezeigt, von denen ich teilweise vorher noch nie gehört habe, geschweige denn die ich beherrscht hätte (Schulter herein? Travers? Halbe Tritte? Zweierwechsel? Kein Problem!). Was hatten wir für eine schöne Zeit.
Im Gelände konnte sie schon mal recht stürmisch sein, vor allem auf den bekannten langen Galoppstrecken, aber auf dem Rückweg konnten wir problemlos Zweierwechsel auf der Wiese üben – einfach weil sie Spaß daran hatte. Aber wohler war ihr offenbar im Viereck. Hier war sie aufgeräumt und konzentriert bei der Arbeit. Wenn das Springpferd in ihr durchkam, hat sie schon mal die am Boden liegenden Cavaletti durchhüpft statt darüber zu traben. Oder den kaum kniehohen Sprung genommen wie einen meterhohen Gartenzaun.
Irgendwann waren Charisma und ich ein richtig gutes Team. Eines Tages, ich glaube im Juni 2015, hatten wir den Dressurplatz fast für uns allein. Nur ein anderes Paar war dabei. Da habe ich zum ersten Mal wirklich mitbekommen wie Reiten sich anfühlen kann und sollte. Wir haben miteinander getanzt. Anders kann ich es nicht beschreiben. Charisma und ich sind förmlich über den Platz geschwebt. Beinahe ohne dass ich bewusst etwas „sagen“ mußte hat sie mich verstanden und mit Leichtigkeit sind uns alle Übungen gelungen. Dieses Gefühl, mit dem Pferd eins zu sein, war unbeschreiblich.
Dafür werde ich Charisma – und Herrn Müller, der mir diese Chance gegeben hat – immer dankbar sein und ich wünsche jedem Reiter, dass er dieses Gefühl wenigstens ein Mal in seiner Karriere erleben darf.